Wegbereiter der Zucht in Westfalen

Festrede von Wilfried Detering am Robert-Oettel-Denkmal

Seit dem 15. Juni 1901, dem Tag der ersten Weihe dieses Denkmals, versammeln sich immer wieder zu den einzelnen Gründungsjubiläen Rassegeflügelzüchter hier, um den Gründervater unserer deutschen Rassegeflügelzucht, um Robert Oettel und den Görlitzer Verein zu ehren.
Durch Robert Oettel wurde die herrlich gelegene schlesische Stadt Görlitz zum Ausgangspunkt der deutschen Rassegeflügelzucht. Hier, wo man von der Höhe hinabschaut auf die Neiße, jenen von uns Deutschen schicksalhaft gewordenen Fluss, steht dieses Denkmal Robert Oettels, ein großer Findling seiner Heimat, geschmückt mit bronzenen Erinnerungsplatten. Keck thront auf einem Vorsprung dieser bronzene Bergische Kräher-Hahn. Die Wipfel der Bäume umrauschen das Erinnerungsmal, und wohl jeder Rassegeflügelzüchter, der nach Görlitz in den letzten 100 Jahren kam und sich einen Stadtbummel und eine Neißepartie nicht entgehen ließ, stand vor diesem Denkmal.

31.8.2002: Wilfried Detering bei seiner Gedenkrede am Robert-Oettel-Denkmal; links: Werner Zwicker, Vorsitzender des Hühnerologischen Vereins Görlitz

31.8.2002: Wilfried Detering bei seiner Gedenkrede am Robert-Oettel-Denkmal; links: Werner Zwicker, Vorsitzender des Hühnerologischen Vereins Görlitz

In Görlitz, wo Robert Oettel wirkte, war es nicht schwer, sich die Liebe zur Geflügelzucht zu erhalten. Der „Allmächtige“ hat diese Stadt so reich mit Schönheiten gesegnet, dass die farbige Pracht des Federkleides unserer Geflügelrassen fast eine notwendige Ergänzung war.
Gewiss, Robert Oettel hatte es nicht leicht, mit seinen Idealen durchzudringen. Aber er, der geachtete Kaufmann, galt etwas in seiner Vaterstadt und ließ sich durch keine Einwände beirren. Der von ihm gelegte Funke glimmte zunächst, begann zu glühen und zu zünden. Er erfasste ein Dutzend Männer, bald Hunderte und Tausende, und dann war die Idee Robert Oettels in jedes Dorf, in jede Stadt gedrungen, und überall entstanden Geflügelzuchtvereine.
Der 18. Oktober 1852 ist für uns deutsche Rassegeflügelzüchter der bedeutungsvollste Tag in der Geschichte unserer 300000 Mitglieder großen Gemeinschaft. Das Samenkorn, welches der unvergessliche Robert Oettel damals in Gestalt der Gründung des Hühnerologischen Vereins Görlitz gelegt, hat reiche Früchte getragen.
Nach dem Schneeballprinzip gründeten sich in Deutschland nach 1852 Geflügelzuchtvereine, die sich auch den Tierschutz ins Programm geschrieben hatten. 1855 Dresden, 1858 Berlin, 1861 mein Heimatverein in Bielefeld, 1860 Braunschweig, 1867 Frankfurt, 1868 Nürnberg und Greiz, Hannover, Hildesheim und Reutlingen, um nur einige zu nennen.

Vereinsfahne Roßwein

Vereinsfahne Roßwein

Robert Oettel war auch Zeuge eines bedeutenden gesellschaftlichen Veränderungsprozesses, der tief in das Leben der Gemeinschaft und des Einzelnen einschnitt. Die Bedeutung der Revolution für die deutsche Geschichte ist nur wenigen bewusst. Allein das Schlagwort Revolution weckt, anders als in Frankreich, eher Unbehagen. Dennoch ist es wichtig, an die Ereignisse jener Jahre zu erinnern und vor allem darauf hinzuweisen, dass damals, als Oettel sich im 50. Lebensjahr befand, die Grundlagen für eine demokratische Entwicklung in Deutschland gelegt worden sind. Zwar blieben die Forderungen nach den Grundrechten der Presse- und Versammlungsfreiheit, einem aus allgemeinen und gleichen Wahlrecht hervorgegangenen Parlament zunächst unerfüllt, doch langfristig taten sie ihre Wirkung. Die Weimarer Verfassung, und auf ihr beruhend die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, haben die meisten Forderungen aus der Gründerzeit des Hühnerologischen Vereins Görlitz aufgenommen und verwirklicht. Was das Cochin-China-Huhn einst in der Gründerzeit unserer ersten Geflügelvereine bedeutete, die vor uns Haushühner hielten und züchteten, hegten und pflegten, ist heute kaum noch vorstellbar. Ihren Triumpfzug, den sie vom nördlichen China her antraten, erregte in der ganzen Welt und in allen politischen Journalen größte Aufmerksamkeit.

Vereinsfahne Großhennersdorf

Vereinsfahne Großhennersdorf

Das Bekanntwerden des „Wunderhuhns“ und das rapide Umsichgreifen des Cochin-Fiebers fällt bekanntlich in das Viktorianische Zeitalter, in eine Epoche, als viele Menschen den fürstlichen Zwangsstaat, die Zensur und die Gängelungen abschütteln wollten. Das erste Stiftungsfest des Vereins trägt den Namen Cochin-China-Fest. Weitere Feste folgten 1856 und 1857 in Görlitz und in der Löbau. Am 12. Dezember 1854 veranstaltete der Verein unter Oettels Leitung die erste Geflügelausstellung in Görlitz. 1858 wird Oettel Mitglied der russischen und der französischen Akklimatisationsgesellschaft in Moskau und Paris. Auch die Schaffung der ersten Rassebeschreibung trägt in den Anfangsjahren die Handschrift Robert Oettels.
1880 nimmt Oettel in Elberfeld an der Gründung der Dachorganisation der deutschen Geflügezüchter teil. Am 7. März 1881 bei der Gründung des Clubs Deutscher und Österrreichisch-Ungarischer Geflügelzüchter hält er einen Vortrag über die künstliche Brut.
Von 1852 bis zu seinem am 14.3.1884 im 86. Lebensjahr erfolgten Tod, war Robert Oettel 1. Vorsitzender des von ihm gegründeten Hühnerologischen Vereins in Görlitz.
Er war die Seele des Vereins. Er sorgte nicht nur dafür, dass die Hühnerologie mit wissenschaftlichem Verständnis betrieben wurde, sondern er pflegte auch das kameradschaftliche und gesellige Leben im Verein. Die von ihm veranstalteten, den Damen des Vereins gewidmeten, so genannten „Hennenfeste“ waren ein Ereignis für Görlitz. Der größte Saal der Stadt war fast zu klein, um die zahlreich erscheinenden Hühnerfreunde mit ihren Damen aufzunehmen. Oettel erfreute bei diesen Festlichkeiten die Teilnehmer mit humorvollen Reden, Toasten und Tafelliedern, die er selbst dichtete und in Musik umsetzte.

Vereinsfahne Langhennersdorf

Vereinsfahne Langhennersdorf

Auch der Görlitzer Geflügelzuchtverein konnte dank der außerordentlichen Arbeit, die der Altmeister Oettel zu Lebzeiten verrichtet hatte, einen weiteren erfolgreichen Weg gehen. Und so hat er u.a. dafür Sorge getragen, dass in der Person seines Enkels, des Zfr. August Kienitz, ihm ein tüchtiger Nachfolger wurde. Genau wie sein Großvater den Verein 32 Jahre mit außerordentlicher Sachkenntnis, Liebe und Mühe geleitet hatte, so konnte aber auch Zfr. August Kienitz als sein Nachfolger das gleiche fast 30 Jahre bis zum Jahre 1911 tun. Unter den langjährigen Lenkern des Vereins muss man auch Fritz Richter einreihen, der das 100-jährige Gründungsjubiläum 1952 durchführte und im Laubengang von Oettels Geburtshaus eine Gedenktafel anbringen ließ: „Auf mein Grab müsst ihr mir setzen einen schönen, stolzen Hahn, kräht er, würd’s auch mich ergötzen, selbst wenn ich’s nicht mehr hören kann.“ Diese Bitte hatte Oettel in scherzender Weise seinen Geflügelfreunden in fachlicher Runde einmal geäußert. Diese Bitte sollte in Erfüllung gehen.
Der 100. Geburtstag Robert Oettels gab die Anregung, dem Begründer und wirksamsten Förderer der deutschen Rassegeflügelzucht dieses Denkmal zu schaffen. Es bildete sich ein Gründungskomitee, das aus vier Gleichgesinnten bestand, dem Vorsitzenden des Hühnerologischen Vereins Görlitz, August Kienitz, dem Vorsitzenden des Clubs Deutscher und Österreichisch-Ungarischer Geflügelzüchter, Hugo du Roi aus Braunschweig, dem Vorsitzenden des Generalvereins der Schlesischen Geflügelzüchter, Carl von Wallenberg-Pachaly, und dem Gründer und Vorsitzenden des Hamburg-Altonaer Geflügelzuchtvereins von 1874, Julius Völschau. Noch heute bei Sammlern sehr begehrt, sein illustriertes Geflügelbuch aus dem Jahre 1884. Nachdem Gelder aus ganz Deutschland und aus dem Ausland gestiftet waren, bekam der bekannte Dresdner Bildhauer Schnauder den Auftrag, dieses Denkmal für Robert Oettel zu entwerfen. Nach seiner Fertigstellung wurde es am 15. Juni 1901 feierlich nach einer Festansprache von August Kienitz enthüllt. Als Verdienst der Urenkel Oettels darf man es bezeichnen, dass es ihnen gelungen ist, fast nahezu alle Geflügelrassen in die heutige Zeit zu retten.

Vereinsfahne Grossolbersdorf

Vereinsfahne Grossolbersdorf

Dabei haben viele der noch lebenden Züchter jene unglückselige Zeit des 2. Weltkrieges in Erinnerung, in dessen Folge eine ganze Nation zerstört und moralisch gedemütigt wurde und vor em Nichts stand. Nicht nachempfindbar mögen jene Opfer und Entbehrungen angesehen sein, die notwendig waren, um Tiere, besonders rassereine Tiere, für eine bessere Zeit zu erhalten. Für einige dürften sie aber der einzig verbliebene Trost für zugefügtes schweres menschliches Leid, auch durch die Trennung unseres Vaterlandes gewesen sein. Aber auch der 2. Weltkrieg hat nicht vor diesem Denkmal Halt gemacht. Der bekannte Vers des römischen Dichters Horaz: „Exegi monumenium aere pereunius“, zu deutsch: „Ich habe ein Denkmal errichtet, dauernder als Erz“, passt so recht auf unseren Altmeister Robert Oettel. denn 1942, in einer bitteren Stunde unserer Nation, wurden von diesem Ehrendenkmal das Bronze-Abbild Robert Oettels, der Bergische-Kräher-Hahn und die beiden Reliefplatten von Nationalsozialisten gestohlen und das Denkmal entweiht. Aber bis auf den krähenden Hahn entgingen sie ihrem Schicksal. Einem begeisterten Geflügelfreund und großem Verehrer Oettels, nämlich dem 1. Vorsitzenden des GZV Hamburg-Rissen, Prof. Dr. Ludwig Schwarz, ist die Rettung der drei Bronzetafeln zu verdanken. Er fand sie auf einem Glockenfriedhof, dessen Inventar nicht mehr in die Schmelzöfen gelangt war. Er bewahrte so altes Kulturgut vor dem Untergang. Da Prof. Dr. Schwarz auch begeisterter Züchter von bommeltragenden Araucana war und eine Biographie über diese Rasse im Jahre 1955 schrieb, ist eine moralische Demütigung durch die hessischen Tierschutzbeauftragten dieses großen Mannes in der heutigen Zeit denkbar.
Aus Anlass des 100. Gründungsjubiläums des Hühnerologischen Vereins Görlitz wurde dieses Denkmal dann am 11. Oktober 1952 neu eingeweiht. An der Robert-Oettel-Gedenkfeier nehmen auch einige Züchter aus dem so genannten Westen teil, den musikalischen Teil gestalten u. a. die Betriebschöre des VEB Lowa Wagonbau Görlitz. 25 Jahre später, zum 125. Gründungsjubiläum, stand der Verein wieder im Mittelpunkt der deutschen Rassegeflügelzucht, obwohl das Jubiläum in der DDR nicht so vonstatten lief, wie es sich der traditionsbewusste Fachrichtungsleiter Wolfgang Krebs gedacht und gewünscht hatte. Auch schon vor 25 Jahren hatte an diesem Ort der jetzige Vorsitzende des Vereins, Werner Zwicker, alles bestens organisiert und Prof. Dr. Schule hielt die Gedenkrede.

Vereinsfahne Remstädt

Vereinsfahne Remstädt

Ein weiterer Meilenstein nach der Wiedervereinigung unseres Landes war das 140. Gründungsjubiläum. Im Vorfeld hatte der Dresdner Bildhauer Vinzenz Wanitschke den Auftrag bekommen, den noch fehlenden Hahn auf das Denkmal zu modellieren. Am 15. August 1992 wurde dann im Beisein des Görlitzer Oberbürgermeisters Lechner, Präsident Hermann Rösch und über 450 Delegierten aus den meisten deutschen Vereinen, der Bergische-Kräher-Hahn wieder der Öffentlichkeit übergeben. Worte des Dankes sprachen auch der sächsische LV-Vorsitzende Heinz Rackwitz und Werner Zwicker an Hermann Rösch und Karlheinz Sollfrank und Edwin Vef für die tatkräftige Unterstützung bei der Vorbereitung des historischen Tages aus. Als Festredner auch hier Prof. Dr. Schille, er wurde mit überwältigender Mehrheit von den Vertretern unserer Landesverbände vorgeschlagen.
Das große Organisationstalent Werner Zwickers führte dazu, dass zum 200. Geburtstag Robert Oettels die 161. Bundesversammlung des BDRG in Görlitz stattfand. Werner Zwicker, der vor Ort mit seinem Team wieder alles vorzüglich organisierte, hatte die Eröffnung der Tagung in die freie Natur gelegt, nämlich an diese Gedenkstätte. Prof. Dr. Schille hielt hier eine ergreifende Rede, die uns allen noch in bester Erinnerung ist, in der er seine Brücke von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft schlug.
Die Früchte von dem Samen, den Oettel vor 150 Jahren säte, ernten wir heute. Der Mensch muss schon etwas mitbringen, wenn er zu uns, den Freunden der Natur, gehören will. Mit Gleichgesinnten findet er sich zusammen. Aus dem Gleichklang findet er neue Kräfte und Anregungen, der Gleichklang formt neue Freundschaften, die echt sind. Junge Freunde stoßen zu den alten, die abgeklärt ewiges Vorbild sein können. Was die Alten um Oettel und seine Nachfolger ergründeten und als Vermächtnis hinterließen, nehmen die Jungen in Verwahrung. Das treue Gedenken ist keine Redensart. Jede Erscheinungsnummer der Geflügel-Börse, des Deutschen Kleintier-Züchters und der Deutschen Geflügelzeitung ist ein Beispiel dafür. Die alten Namen klingen weiter und bleiben lebendig. Sie gehören noch mit zur großen Gemeinde des BDRG, deshalb bleibt unsere Züchtergemeinschaft groß und unübersehbar.

Vereinsfahne Arnsdorf

Vereinsfahne Arnsdorf

Stürmische Zeiten mit ihrem materiellen Auf und Ab, wie die Flutkatastrophe an der Elbe oder die schon über 15 Jahre uns aufgedrängte Tierschutzdebatte können uns in unserem Kern nicht bedrohen, sie machen uns innerlich stärker und entschlossener. Wenn Oettel in der heutigen Zeit gelebt hätte, wäre er hoch erfreut gewesen, denn keine Generation hatte so viele Rassen, die letzten geschaffenen waren Dresdner und Bielefelder, aber im Modestil der Zeit müsste es wohl richtiger heißen, besonders verzweigte Rassen.
Es hat aber keinen Sinn, auf Massentierhaltung und Intensivproduktion zu schimpfen, ohne die ökonomischen Marktmechanismen als Umfeld zu betrachten.
Es wird nicht mehr werden, wie es in früheren Zeiten einmal war. Das heißt für die Rassegeflügelzucht, dass sie mit ihren traditionellen Idealer und Zielen aus sich heraus die moralische Autorität zu ihrer Existenz aufzubringen hat und nicht einiger Schreibtisch-Tierschützern ständig hinterherläuft.
Mit dem heutigen Wissen der Genetik und der Tierernährung, der Verhaltenslehre und Hygiene, haben wir das Rüstzeug, um auch in Zukunft bestehen zu können. Gerade in jüngster Zeit deuten alle Zeichen darauf hin dass die Kleintierhaltung für die Selbstversorgung wieder interessanter wird.
Das sollte auch den Gesetzgeber zu; Besinnung bringen, manche Bauordnung und manchen eingeschränkter Erlass zur Tierhaltung in Siedlungsgebieten neu zu überdenken und zu gunsten der Geflügelzucht zu ändern
Wenn es dann noch gelingt, unter jungen Menschen Begeisterung für diese schöne und sinnvolle Beschäftigung anzufachen, dann hat auch unsere Rassegeflügelzucht bei uns zulande eine hoffnungsvolle Zukunft, ganz im Geiste des Gründers der deutscher Rassegeflügelzucht – Robert Oettel.

 

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